Wie der Darm dein Gewicht beeinflusst
Wie sich herausstellt, kann dein Darm noch viel mehr, als dir in stressigen Situationen Bauchschmerzen zu bereiten. Er beherbergt ein komplexes Ökosystem aus Billionen von Bakterien, das man als Darmmikrobiom bezeichnet. Mit mehr als 1.000 Spezies und 7.000 Bakterienstämmen sind die Bakterienzellen des Darms den restlichen Zellen deines Körpers zahlenmässig um das Zehnfache überlegen. Als wahre Multitalente spielen sie eine Rolle bei der Vorverdauung der Nahrung (was dem Körper die Nährstoffaufnahme erleichtert) und sorgen für ein insgesamt gut funktionierendes Verdauungssystem.
Darüber hinaus helfen sie deinem Immunsystem, körperfremde Eindringlinge wie z. B. das Grippevirus abzuwehren. Tatsächlich befinden sich 70-80 % der Immunzellen im Darm. Und Wissenschaftler gehen zunehmend davon aus, dass der Darm die Gesundheit noch stärker beeinflussen könnte, als sie zunächst angenommen hatten.
„Es gibt einen deutlichen Anstieg der Zahl von Forschungsarbeiten, die einen Einfluss der Darmbakterien auf die Nährstoffaufnahme, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und sogar auf unsere Stimmung belegen“, sagt Dr. David Rakel, Fachbereichsleiter an der University of New Mexico School of Medicine. Nach allem, was man hört, sind diese Bakterien äusserst fleissige Kleinstlebewesen, die oftmals überraschende Arbeit leisten.
Neuere Forschungsergebnisse zu der potenziellen Verbindung zwischen Hirn und Darm weisen darauf hin, dass probiotische Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die reich an gesunden und für den Körper notwendigen Bakterien sind, eines Tages möglicherweise zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden könnten.
Eine kleine britische Studie aus dem Jahr 2015 zeigte, dass gesunde Testpersonen, die Präbiotika (ballaststoffreiche Kohlenhydrate, die Probiotika als Nahrung dienen) zu sich genommen hatten, im Vergleich zu Probanden, die keine Präbiotika konsumiert hatten, geringere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol in ihrem Speichel aufwiesen und auf positive bzw. negative Reize ähnlich reagierten wie Personen, die Antidepressiva oder Anxiolytika einnehmen.
Wie der Darm dein Gewicht beeinflusst
Deine Darmflora kann darüber hinaus die Grundlagen für eine Gewichtszunahme oder -abnahme schaffen. „Menschen, die viele gesättigte Fettsäuren zu sich nehmen, verfügen tendenziell über eine grössere Anzahl an Bakterien vom Stamm der sogenannten Firmicutes und anderen Mikroben, die besonders effizient bei der Aufnahme von Kalorien aus der Nahrung sind“, erklärt Dr. Rakel. (Nur ist das nicht die Art Effizienz, die sich die meisten von uns wünschen.)
„Stellen diese Menschen auf eine mediterrane Ernährung mit viel buntem Obst und Gemüse, Vollkornprodukten, Bohnen und wenig Fleisch um, sinkt die Anzahl der Firmicutes und es entsteht ein Mikrobiom, das Energie nicht mehr so effizient speichert und es den Personen dadurch erleichtert, schlank zu bleiben.“ Eine 2017 durchgeführte und in der Zeitschrift International Journal of Obesity veröffentlichte Studie ergab in der Tat, dass eine grosse Vielfalt an Darmbakterien vor einer Gewichtszunahme schützt.
„Zudem ist unter Experten die Vermutung aufgekommen, dass Darmbakterien – insbesondere eine mangelnde Variantenvielfalt im Mikrobiom – Heisshunger auf Junkfood hervorrufen können“, sagt Ernährungsberaterin Wendy Bazilian. „Einer neuen Theorie zufolge führt eine geringe Diversität an Bakterienarten im Darm dazu, dass jede einzelne von ihnen einen grösseren Einfluss bekommt und es für diese Bakterien einfacher wird, sich „zusammenzutun“ und Signale an das Gehirn zu senden, die dich dazu bewegen, genau die ungesunden Lebensmittel zu konsumieren, nach denen es ihnen gelüstet“, erklärt sie.
Wenn im Darm aber ein breites Arsenal verschiedener Bakterien existiert, „ist kein Stamm allein stark genug, um sein Verlangen nach Zucker durchsetzen zu können“. Der Internist Dr. Raphael Kellman beschreibt das wie folgt: „Ein ungesundes Mikrobiom kann deine Heisshungerattacken fremdsteuern.“
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Pflege deinen inneren Garten
Der Mikrokosmos in unserem Darm wird mitunter auch als „innerer Garten“ bezeichnet, was zum Teil auf der grossen Vielfalt an Bakterien beruht, die dort harmonisch zusammen leben und arbeiten. Aber so widerstandsfähig diese Mikroorganismen auch sind – immerhin sind sie stark genug, um in den äusserst säurehaltigen Speisemassen, die aus dem Magen kommen, zu überleben und bis in den Dünn- und Dickdarm, den Lebensraum der Bakterien, zu gelangen – so erstaunlich empfindlich ist das Darmmikrobiom selbst.
Ebenso wie ein ungepflegter Garten schnell von Unkraut überwuchert wird, können im Darm bestimmte Bedingungen – wie z. B. eine ballaststoffarme und zuckerreiche Ernährung, Dauerstress oder die Einnahme von Antibiotika –„dafür sorgen, dass schädliche Bakterien wie Salmonellen oder Pseudomonaden, Hefe oder Parasiten gedeihen und Schaden anrichten“, erklärt Dr. Susan Blum, Assistenzprofessorin für Präventivmedizin an der Icahn School of Medicine.
Das Mikrobiom bildet sich schon sehr früh und hängt stark vom Geburtsweg sowie davon ab, ob man mit Muttermilch oder Muttermilchersatz ernährt wurde (bei einer vaginalen Entbindung gibt die Mutter ihre eigenen Mikroben, hauptsächlich Laktobazillen, im Geburtskanal an das Kind weiter; beim Stillen werden Bifidobakterien und andere gesundheitsförderliche Keime durch die Milch und den Kontakt mit der Haut der Mutter übertragen).
„Nach der Geburt wird die Art und Qualität der für die Gesundheit verantwortlichen kleinen Darmbewohner im Wesentlichen von der Ernährung geprägt“, so Dr. Rakel. Der aktuelle Wissensstand erlaubt den Forschern zwar noch nicht, mit Bestimmtheit zu sagen, dass man abnehmen, Magen-Darm-Beschwerden in den Griff bekommen oder andere gesundheitliche Probleme lösen kann, wenn man grössere Mengen bestimmter Arten von Bakterien zu sich nimmt, doch sie sind sich darin einig, dass einer insgesamt ausgewogenen Darmflora eine besondere Bedeutung beigemessen werden sollte, da sie eine Vielzahl gesundheitlicher Vorteile mit sich bringt.
Leitfaden für einen gesunden Darm
Am besten kannst du gesunde Darmbakterien fördern und deine Darmflora diversifizieren, wenn du
- abwechslungsreich,
- viele ballastoffreiche pflanzliche Lebensmitteln isst und
- zusätzlich täglich mindestens eine Portion natürliche Probiotika wie fermentierte Lebensmittel konsumierst.
Tipps für eine gesunde Darmflora
1. Konsumiere fermentierte Lebensmittel
Zu den prominentesten probiotischen Lebensmitteln zählen zum Beispiel:
- fermentiertes Gemüse wie Kimchi oder Sauerkraut
- Kefir (ein fermentiertes Sauermilchgetränk) und Joghurt
- Kombucha-Tee
- fermentierte Sojaprodukte wie Miso-Suppe, Sojamilch, Sojasauce und Fleischersatzprodukte auf Sojabasis wie Tofu und Tempeh.
Es ist zwar noch zu früh für konkrete Empfehlungen, aber Experten sind sich einig, dass es keiner grossen Portionen bedarf, um in den Genuss der gesundheitlichen Vorteile zu kommen.
So reicht Dr. Blum zufolge beispielsweise bereits ein Esslöffel fermentierte Rote Bete (zum Beispiel als Würzmittel für Salat) aus, um deinem Darm eine tägliche Dosis nützlicher Bakterien zukommen zu lassen.
Beim Kauf von Joghurt und Kefir solltest du die Angaben auf dem Etikett genauer lesen. Vermeide Produkte mit mehr als zehn Gramm zugesetztem Zucker pro Portion – das Süssungsmittel ist nämlich ein bekannter Saboteur des Mikrobioms – oder solche mit künstlichen Süssstoffen wie Aspartam oder Sucralose. Bereits eine kleine Menge davon, so viel wie ein paar kleine Zuckertütchen enthalten, kann sich negativ auf deine Darmflora auswirken.
2. Runde das Ganze mit Präbiotika ab
Als Nächstes solltest du diese Probiotika mit reichlich Präbiotika füttern. Bananen, Hafer, Vollkorn, Bohnen, Kreuzblütler (Blumenkohl, Brokkoli, Kohl, Rettich), Artischocken und, wie Dr. Rakel es formuliert, „Lebensmittel, die dafür sorgen, dass du ein wenig riechst, wie Zwiebeln, Knoblauch oder Spargel“, arbeiten synergetisch mit den Probiotika und verstärken deren Wirkung.
Es ist kein Muss, Präbiotika und Probiotika gleichzeitig zu konsumieren, aber es gibt durchaus gute Kombinationsmöglichkeiten, zum Beispiel:
- einen Bananen-Kefir-Smoothie
- ein Pfannengericht mit Brokkoli, Spargel
- Tempeh oder Rosenkohl mit Kimchi
Da manche Präbiotika beim Kochen zerstört werden, solltest du diese Lebensmittel nach Möglichkeit roh geniessen. Wenn das nicht möglich ist, kann leichtes Dampfgaren verhindern, dass zu viele präbiotische Fasern verlorengehen.
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3. Nimm mehr Ballaststoffe zu dir
Fast alle präbiotischen Lebensmittel haben einen hohen Gehalt an Ballaststoffen, von denen gesundheitsförderliche Bakterien sich besonders gern ernähren. „Wenn Darmbakterien sich Ballaststoffe einverleiben, bauen sie kurzkettige Fettsäuren auf", führt Dr. Kellman aus. „Diese gelangen dann in den Blutkreislauf, wo sie bei der Regulierung des Immunsystems und der Entzündungshemmung helfen.“
Zudem regen Ballaststoffe die Produktion von Mucus im Darm an, der den nützlichen Kleinstlebewesen ein gesundes Zuhause bietet, ähnlich wie die Gebärmutterschleimhaut dem Embryo. „Der Mucus dient den Immunzellen als eine Art Trainingslager für die Interaktion mit Bakterien“, erklärt Dr. Rakel. „Darüber hinaus stellt er eine Art Schutzwall her, der verhindert, dass Bakterien Löcher in die Darmschleimhaut fressen, die zu einem durchlässigen Darm (dem sogenannten Leaky-Gut-Syndrom) führen können, bei dem schädliche Proteine in den Blutkreislauf gelangen.“
Eine durchlässige Darmwand kann eine ganze Reihe gesundheitlicher Probleme verursachen, wie zum Beispiel Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelenkschmerzen oder Autoimmunerkrankungen.
Gut zu wissen: Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Erwachsene eine tägliche Menge von 30 Gramm Ballaststoffen!
4. Greife zu echten Lebensmitteln
Last but not least solltest du versuchen, die Probiotika soweit möglich aus Lebensmitteln und nicht aus Nahrungsergänzungen zu beziehen. „Es geht ja nicht nur um die Bakterien, sondern auch darum, wie sie mit den Lebensmitteln, aus denen sie stammen, zusammenwirken“, erklärt Dr. Rakel. Ein klassisches Beispiel: Milchprodukte tragen dazu bei, gute Bakterien auf ihrer Reise bis in den Darm zu schützen. Sein Fazit lautet: „Wenn du dich gut ernährst, regelt sich das Mikrobiom ganz von selbst.“
Die Bakterien in deinem Darm sind wahrscheinlich die einzigen Bazillen, die du jemals bereitwillig(!) kultivieren wirst. Doch du wirst dafür in doppelter Hinsicht belohnt: kurzfristig mit dem Zufriedenheitsgefühl, das aus einer abwechslungsreichen, schmackhaften und gesunden Ernährung entsteht, und langfristig mit den zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen, die ein gesundes Mikrobiom mit sich bringt.