Sind Dehnübungen vor jedem Training ein Muss?

Veröffentlicht 2. November 2015

Frage von Andreas F., 49 Jahre, 95 kg:

Bisher habe ich mich vor jedem Ausdauer- und Krafttraining gedehnt. Jetzt habe ich in einer Zeitschrift gelesen, dass dies nicht nötig ist und bin verunsichert. Was rätst du?

 

Antwort:

Ich kann deine Verwirrung gut nachvollziehen. Über Jahrzehnte galt die Regel, ein Training müsse mit einer ausführlichen Dehnphase eingeleitet und abgerundet werden. Selbst Experten gingen davon aus, dass ein gezieltes Stretching die Leistung steigern und Verletzungen verhindern könne. Allerdings fehlen bis heute eindeutige Nachweise für diese Vermutungen.
Aktuelle Erkenntnisse aus der Sportmedizin weisen eher auf das Gegenteil hin. So konnten bei Sportarten, die Schnellkraftleistungen erfordern, sogar schlechtere Leistungen durch ein vorab durchgeführtes Dehnprogramm festgestellt werden (z. B. bei Wurf- oder Sprungleistungen).
Zudem sollen Dehnübungen vor Muskelkater schützen. Auch diese Aussage ist heute nicht mehr haltbar. Denn Dehnübungen erzeugen hohe mechanische Muskelspannungen, wodurch die Symptome eines Muskelkaters noch verstärkt werden können. Wer also im Anschluss an das Joggen ein intensives Dehnungstraining absolviert, läuft Gefahr, den Muskelkater erst so richtig hervorzulocken.

Aus meiner Sicht ist es dennoch nicht ratsam, Dehnübungen generell abzulehnen. Vor allem, wenn du das Gefühl hast, etwas eingerostet und unbeweglich zu sein. In diesem Fall ist ein regelmäßiges Dehnprogramm die erste Wahl. Kombiniert mit einfachen Lockerungsübungen können Dehnübungen dich wieder mobil machen und deine Beweglichkeit verbessern. Bewegungsabläufe werden so wieder geschmeidig, rund und harmonisch.

Entscheidend ist der Zeitpunkt, also wann du das Dehnen durchführst. Im gesundheitsorientierten Sport ist das Dehnen vor einer Belastung nicht notwendig und bringt für dich keinen Nutzen. Zügiges Walking und leichte Lockerungsübungen sind absolut ausreichend. Sinnvoll ist ein Beweglichkeitstraining als eigenständige Trainingseinheit oder nach einem leichten bis moderaten Ausdauer- oder Krafttraining. Ein leichtes Stretching nach dem Training fördert außerdem die Durchblutung und kann so die Erholung unterstützen.

 
Die Autorin
Die Schwerpunkte der Sportwissenschaftlerin Dr. Sabine Puhl liegen in der Bewegungsberatung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie der Fortbildung von Fachkräften zu den Themen Diabetes, Adipositas und Motivation.
Mehr Informationen unter www.puhl-bewegt.de