Trotz Sport zugenommen - wie kann das sein?

Veröffentlicht 11. August 2020 | Aktualisiert 1. Juli 2022

Du gehst zum Pilates, machst einen Spinning-Kurs, stemmst beim Krafttraining Hanteln oder walkst mehrmals die Woche. Doch der Zeiger der Waage weigert sich, in die gewünschte Richtung zu wandern. Keine Abnahme, nichts, gar nichts. Schlimmstenfalls sogar eine kleine Gewichtszunahme. Und du denkst: „Zugenommen, obwohl ich Sport mache? Na super, dann kann ich das auch gleich lassen.“ Gefühlt eine echte Frechheit. Wie kann das sein?

Wir haben die Frage unserer Sportwissenschaftlerin Dr. Sabine Puhl gestellt. Sie hat das Phänomen für uns unter die Lupe genommen. 

WW: Unsere Teilnehmer fragen immer wieder, ob es sein kann, dass sie nicht weiter ab- bzw. sogar zunehmen, obwohl sie Sport machen?

Dr. Sabine Puhl: Langfristig kann das nicht sein. Kurzfristig sind allerdings immer mal Schwankungen möglich. Wer sich im Internet auf die Suche nach Informationen dazu macht, stößt vor allem auf Beiträge in Foren und nicht auf aussagekräftige Studien. Denn ernsthaft untersucht wurde dieses Phänomen in den Bewegungswissenschaften bisher nicht. Es ist also auch nicht möglich zu sagen, wie viel Zunahme normal ist. 

WW: Warum nicht?

Dr. Sabine Puhl: Ohne jetzt die lange Liste der gesundheitlichen Vorteile von Bewegung zu wiederholen – genau hier liegt der Grund. Sport ist gesund! Wer sich bewegt, lebt länger und besser. Aus medizinischer Sicht stellt das Phänomen „Sport machen und nicht abnehmen“ also kein Problem dar. Für denjenigen, den es betrifft, ist es aber verständlicherweise eher demotivierend.

WW: Manche Teilnehmer vermuten, dass sie nicht abgenommen oder gar zugenommen haben, weil sie Muskelmasse aufgebaut haben. Was ist da dran?

Dr. Sabine Puhl: Hierzu ist es wichtig zu wissen: 

  • Beim Abnehmen wird nicht nur die ungeliebte Fettmasse abgebaut, sondern auch Muskelmasse.
  • Mit Bewegung kann man deren Abbau allerdings mindern.
  • Generell dauert der Aufbau von Muskelmasse mindestens mehrere Wochen. Kurzfristig über Nacht, binnen Tagen oder einer Woche ist das nicht möglich.

WW: Teilnehmer berichten immer wieder, dass der Trainer im Fitnessstudio gesagt hat, man habe Muskeln aufgebaut. Schließlich habe man mehr Gewichte stemmen können.

Dr. Sabine Puhl: Das liegt zuerst einmal an einer Steigerung der Kraftfähigkeit. Und diese kann allein schon durch eine verbesserte Koordination dank regelmäßigem Training entstehen. Ein Muskelaufbau ist – zumindest während der Abnahme – erstmal weniger wahrscheinlich, denn dafür braucht es ein sehr hohe Trainingsumfänge.

WW: Was kann also tatsächlich die Ursache für einen Stillstand oder eine kleine Zunahme sein?

Dr. Sabine Puhl: Dafür gibt es drei mögliche Erklärungen:

Erklärung 1: Normale Gewichtsschwankungen

Eine Abnahme verläuft niemals kontinuierlich und gleichmäßig. Es wird immer Höhen und Tiefen geben, der Verlauf wird also eher einer Kurve gleichen. Gerade für Bewegungsneulinge und Sporteinsteiger ist es wichtig, dem Körper Zeit zu geben, sich umzustellen. Er ist keine Maschine, die auf Knopfdruck reagiert. Verändern wir unsere Ess- und Bewegungsgewohnheiten, vor allem, wenn wir jahre- oder gar jahrzehntelang nichts getan haben, passiert in unserem Körper ganz viel. Deshalb gilt es, „cool zu bleiben“, Geduld zu haben und weiterzumachen.

Erklärung 2: Der Kalorienverbrauch durch Bewegung wird überschätzt

Nach einer Stunde Sport sind die Pommes ja wohl drin, oder? Dieses Gefühl bzw. Bedürfnis kennt wohl jeder. Doch leider wird die Zahl der durch Bewegung verbrauchten Kalorien schnell überschätzt. Wiegt eine Frau z.B. 80 kg und joggt eine halbe Stunde mit niedriger Intensität, verbraucht sie dabei etwa 300 kcal. Genießt sie anschließend zwei große Bananen, ist die Kalorienbilanz schon wieder ausgeglichen. Selbst wer es schafft, 3 x pro Woche eine Stunde joggen zu gehen, und dabei ca. 1.500 kcal verbraucht – ein leckeres Essen beim Italiener inklusive eines oder gar zweier Gläser Wein und die Rechnung ist ausgeglichen. Hinzu kommt, dass viele Menschen nach Bewegung einfach mehr Hunger haben und gar nicht merken, dass sie mehr essen als gewöhnlich. Dieser Effekt ist mittlerweile sogar wissenschaftlich nachgewiesen worden.

Erklärung 3: Kurzfristige Wassereinlagerungen

Es gibt Hinweise auf bewegungsbedingte Wassereinlagerungen, als eine kurzfristige Gewichtszunahme nach dem Sport. Diese sind abhängig von der Intensität der Belastung und der Flüssigkeitszufuhr. Vor allem durch hohe Belastungen können leichte Schäden in der Gewebsstruktur dazu führen, dass kurzfristig vermehrt Wasser eingelagert wird. Dies ist jedoch ein völlig normaler Vorgang in der Regenerationsphase, also in der Zeit nach dem Training, wenn sich unsere Muskeln erholen. Meist gibt sich das nach ein paar Tagen wieder.

WW: Einige Mitglieder gehen so weit zu sagen „Ohne Sport habe ich besser abgenommen, deshalb lasse ich das jetzt sein“. Was rätst du?

Dr. Sabine Puhl: Der Gedanke ist zwar sehr menschlich – deswegen auf Bewegung zu verzichten, wäre aber sehr schade. Denn wer abnimmt, verliert wertvolle Muskelmasse. Und das nicht zu knapp. Abnehmen ohne Sport ist also aus meiner Sicht keine Lösung. Denn sowohl eine gesunde Abnahme als auch das langfristige Halten des Gewichtes ist mit Bewegung leichter.

WW: Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Sabine Puhls Tipp lautet:

Schau häufiger in den Spiegel, als auf die Waage!

Durch Bewegung und Sport verändert sich die Körperzusammensetzung – unabhängig vom Gewicht. Das Verhältnis von Fettgewebe zu Muskelmasse verbessert sich und dies führt zu fühl- und sichtbaren Veränderungen der Figur. Messbar vielleicht nicht auf der Waage, aber am Gürtel. Selbst wenn deine Abnahme eine bestimmte Zeit stagniert oder du etwas zunimmst, letztendlich kannst du nur profitieren, wenn du dich bewegst!

Zur Interviewpartnerin
Die Schwerpunkte der Sportwissenschaftlerin Dr. Sabine
Puhl liegen in der Bewegungsberatung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen sowie der Fortbildung von Fachkräften zu den
Themen Diabetes, Adipositas und Motivation.
Mehr Informationen unter www.puhl-bewegt.de